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Besonders Marlene kam dieser Notrettungsdienst oft zu statten, weil sie jede Sorte von Matsch für ihre Kuchenförmchen verarbeitete.
Die liebe Tante war auch sehr sozial eingestellt. Immer, wenn sie in Erfahrung brachte, dass wieder ein Zug mit verwundeten Soldaten von der Front ins Reich fuhr oder ein Zug mit Kriegern zum Heldensterben an die Front gebracht wurde, dann erschien sie an dem kleinen Moseltalbahnhof und warf Zigarettenschachteln in den langsam vorbei dampfenden Zug. Auch der Lokführer und der Heizer wurden mit Zigaretten bedacht, damit sie bei der Durchfahrt durch den Bahnhof das Tempo ein wenig drosselten. Manchmal, wenn der Schulunterricht es erlaubte, durfte ich auch an den Gleisen stehen und viele blaue Packungen Zigaretten-Marke „Pilot“ in die Fenster werfen. Die Schachteln, die ihr Ziel nicht erreichten, wurden wieder eingesammelt und für die nächste Aktion vorbereitet. Von diesen Schachteln ließ ich immer eine in der Hosentasche verschwinden, weil Zigaretten als Tausch-Ware wichtig waren und weil ein 8-jährigen Schüler seinen Kumpels zeigen musste, dass er schon rauchen konnte.
Mit der Geburt von Manfred ließ das Interesse der Tante an fremden Kindern nur ein ganz wenig nach. Manfred aber bekam die chaotische, ungebremste Liebe seiner Mutter sehr heftig zu fühlen.
Die angebrannte Milch, das falsche Kinderpuder und die strammen Wickel hat er erstaunlich gut überstanden und wenn er nicht gerade
nackt vor den bewundernden Augen seiner Mutter vor Kälte schrie,
dann lag er friedlich schlafend, griffbereit verpackt und wartete auf den Hauptalarm. Wenn man das Dröhnen der Bomber schon hören konnte, hastete Tante Fränzel mit ihrem Säugling in den nahen Felsenkeller.
  Unsere Mutter hat uns schon beim Voralarm geweckt, uns dicke in warme Kleidung gepackt und die langen Strümpfe mit metallenen Halterungen an die Gummistrippen unserer Mieder befestigt. Dann brachen wir sofort auf, um unseren Stammplatz im Felsenkeller zu sichern. Unterwegs trafen wir die meisten Nachbarn, die sich auch in dieselbe Richtung bewegten.
Der Felsenkeller hatte ein großes metallenes Eingangstor welches
in einen großen gemauerten Weinkeller unter den Felsen der
Weinberge führte.  Hinter dem Tor kam man in einen Raum, der nach einigen Metern nach rechts und nach links knickte und in dem auf den gemauerten Halterungen noch einige Weinfässer lagen. Unser Lager
war auf der rechten Seite. Der Gang war lang und mit elektrischen
Birnen dürftig erhellt. Auf den Fasshalterungen lagen Decken und Matratzen und auf den Fässern standen einige Kerzen, die in dem feuchten Bunker den Menschen ein wenig Wärme vortäuschten. Die kritischste Stelle des Bunkers war der Eingang, an dem sich bei Vollalarm die Schutzsuchenden stauten und sich gegenseitig fortschoben, um selbst schnell in den Schutz des Felsenkellers zu gelangen. Als unsere Familie beim zweiten Vollalarm in derselben
Nacht auch einmal zu spät vor dem Felsenkeller ankamen, wurden wir von unserer Mutter getrennt. Mama Masson wurde unbarmherzig weitergeschoben und war bald im Eingang verschwunden.
Dabei stolperte sie über ein Wäschebündel, welches sich ziemlich schwer
und warm anfühlte. Obwohl es gefährlich war, sich in einer panischen Menschenmenge zu bücken, gelang es Mama, das Bündel an sich zu reißen und mit i
n den Bunker zu schleppen.
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Der Eingangsbereich des Felsenkellers, der heute
vom Weingut Thanisch als traditionsreicher Raum
für Weinproben genutzt wird.