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Einige Kisten standen mitten in der Gasse, weil die Soldaten auf dem Wagen Platz schaffen wollten, um hinter den Munitionskisten noch ein paar Weinkisten zu verstauen, die ihnen die nahe Front etwas erträglicher gestalten sollten. Mit einem schnellen Griff wurde die Kiste geöffnet und der Anblick der funkelnagelneuen Flügelminen löste bei uns fast einen Freudenschrei aus, weil nunmehr die Finanzierung der Schlankheitspillen gesichert erschien. Wir setzten uns auf eine der Kisten, klemmten uns eine Flügelmine zwischen die Schenkel und schraubten das Flügelleitwerk von den Minen ab. Das schien uns ungefährlicher zu sein, als vorne an der Granate, wo der Aufschlagzünder saß, herumzufummeln.Die beiden Soldaten, die mit einer Weinkiste über den Hof herankamen, blieben erstaunlich ruhig, als sie die beiden Feuerwerker in der Nähe ihrer hochexplosiven Fracht erblickten.
Wir blieben ebenfalls ganz ruhig sitzen. Ein dumpfes Gefühl riet uns, weder den Abschusszünder noch den Aufschlagzünder auf die gepflasterten Steine des Fußbodens fallen zu lassen. Die beiden Soldaten schlichen auf den Zehenspitzen heran und nahmen uns ganz vorsichtig die einzelnen Granaten-Teile aus der Hand und legten sie behutsam auf den Boden. Dann verabschiedeten sie uns mit einem saftigen Tritt in den Hintern und setzten sich auf die Munitionskisten,
weil ihnen ihre Beine den Dienst versagten. Diesen Soldaten, ähnlich
wie den Kanonieren an der Vierlingsflak, verdankt die Stadt Bernkastel eine Menge sehr schöner, alter Fachwerkhäuser rund um den Markt.
Dem geneigten Leser dieser hektischen Ereignisse soll aber
nicht verschwiegen werden, dass es in diesem mörderischen Durcheinander auch ganz weltentrückte Inseln der Glückseligkeit gab. |
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Da gab es in der Graacherstraße einen Mann der sich als Virtuose
und Vortragskünstler bezeichnete. Arno war auch vom Krieg hierhin geschwemmt worden und verdiente sich ein bisschen Geld mit seinem riesigen Akkordeon und mit der Beratung wohlhabender, nikotin-süchtiger Bernkasteler bei der Beschaffung und Fermentierung gekaufter, getauschter oder gestohlener, trockener Tabakpflanzen. Tabak und Zigaretten wurden im Dritten Reich streng bewirtschaftet
und den Volksgenossen mittels einer Raucherkarte zugeteilt. Die Zuteilungen waren so knapp bemessen, dass „die Zigarette“ zu einer Währungseinheit wurde. So gab es zum Beispiel für 10 Zigaretten
etwa 125 Gramm Fleisch oder für 30 Zigaretten ein Huhn. Wegen
dieses hohen Wechselkurses wurden von der Tabakpflanze nicht nur
die
teuren Deckblätter, sondern auch die Stammblätter, die hölzernen
Stiele, die Rispen und der bei der Produktion anfallende Staub ver-wertet.
Die Tabakpflanzen wurden mit Stumpf und Stiel von dem Ort Bombogen bei Wittlich, wo ein ziemlich starker und kratziger Tabak wuchs, nachts von Arno herbeigeschafft. Dann begann die Arbeit des Virtuosen. Er bestrich für seine Klientel den Tabak individuell mit geheimnisvollen Mischungen aus Schnaps, Honig, Gewürzen und noch anderen geheimnisvolleren Zutaten. Er bügelte, faltete und presste den Tabak und brachte ihn bei konstanter Temperatur zum Schwitzen.
Dieser Prozess dauerte fast einen Monat und durfte weder durch Voralarm, Alarm oder Bombenabwurf gestört werden. Dann wurden
die jeweiligen Eigner der Tabakpflanzen oder die Finanziers des
kleinen aber ertragreichen Schwarzmarkt-Unternehmens zusammengerufen. |
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