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Ich konnte gelegentlich am Tabak-Kollegium teilnehmen und durfte dann die kleine Schneidemaschine bedienen und nachher den fertig geschnittenen Tabak in die Lederbeutel verpacken. Ich erinnere mich noch heute an die geheimnisvolle Stimmung der süchtigen Bürger, Verschwörer, Schieber und Schwarzhändler im überheizten, verqualmten und verdunkelten Wohnzimmer in der Grabenstraße. Der herb-süße Duft des frisch fermentierten Tabaks erinnerte an den wunderbaren Duft des frischen Tabaks im Laden von Tante Lieschen und Onkel Jäb in Ottweiler. Ganz besonders kernig und frisch war der Duft des aus den dem hölzernen Stängel gewonnenen Tabak, der noch lange auf der Straße mit der Nase erkennen ließ, dass dort ein genussvoller Pfeifenraucher gegangen war.Wenn der Tabak dann fertig war, saßen die alten Männer wie Verschwörer zusammen, begutachteten den Duft des Tabaks und des Rauches, lobten seine Farbe, entschieden über die Einstellung der Schneidemesser für den Schnitt. Krüll-Schnitt war für die Pfeife, Feinschnitt war für Zigaretten. Mit kleinen Maschinen wurden Zigaretten gedreht, bestaunt, herumgereicht und gelobt. Der Virtuose konnte mit seinen feingliedrigen Fingern und mit Hilfe einer zierlichen Wickelapparatur schöne, feste und schlanke Zigaretten drehen. Mit spitzer Zunge benetzte der Virtuose abschließend die winzige Klebespur auf dem dünnen Zigarettenpapier und legte die Zigarette mit einer zeremoniellen Handbewegung dann auf den Stapel vor dem jeweiligen Eigentümer. Währen der Tabak-Zeremonie wurde viel Wein getrunken, Akkordeon gespielt, gesungen und der Krieg und besonders die Engländer, verflucht:
England, das perfide Albion, ist uns Deutschen ein echter Erzfeind.
  England bombardiert unsere Wohngebiete und missbraucht die
5. Symphonie von unserem verehrten Beethoven, um seine verlogene Propaganda im Rundfunk zu verbreiten. Gott sei Dank fliegen jetzt die deutschen Wunderwaffen V1 und V2 dorthin und richten eine
fürchterliche Vergeltung in den Wohnvierteln von London an.
Dann wurden die Italiener verflucht, die an keiner Front standhielten und lieber schon abhauten, bevor es ernst wurde. Wahrscheinlich hatten deren Panzer garkeinen Vorwärtsgang!
Und die Franzosen wurden verflucht, weil sie jeden Sieger
mit großem Trara willkommen hießen und weil sie eigentlich ein weichlicher Erbfeind seien und es nur wenig Spaß mache, gegen die
zu siegen. Man hätte ihnen diesmal aber gezeigt, wo der Hammer
hänge. Allerdings“ müsse man zugeben, dass man die Französinnen
und das Essen mit anderen Augen betrachten könne.
Als man die Schlimmsten der rund 50 Feinde des Reiches verflucht hatte, verfluchte man noch die Juden, die, genau genommen, an allem Elend schuld wären. Sie hätten nicht nur ihren Volksgenossen Jesus, einen der drei Herrscher des himmlischen Reiches ermordet, sondern auch die gesamte Wirtschaft unseres Deutschen Reiches ausgebeutet und ruiniert.

Ehrlichkeitshalber müsse man aber die Bernkasteler Juden
etwas in Schutz nehmen. Keiner von diesen habe so hässlich ausgesehen, wie sie auf den Plakaten der Nazis aussähen,
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