29
Obwohl die einzelnen Angriffswellen der Engländer durch Voralarm und Hauptalarm rechtzeitig angekündigt wurden, blieb oft nicht genug Zeit zwischen der Entwarnung nach einem Angriff und der nächsten Angriffswelle.
Mutter Maria, Lieschen und ich jagten in solchen Nächten oft mehrmals zwischen der Doctor-Weinstube und dem Bunker hin und her. Dies war eine aufreibende Angelegenheit, weil jedes Mal die langen Strümpfe angezogen werden mussten, dann mussten die langen Strümpfe an den Stumpfband-haltern befestigt werden, die ihrerseits an den Strippen des Leibchens festgemacht waren. Dann mussten die Kinderschuhe über die langen Strümpfe gestülpt werden und die Schuhriemen über die vielen Ösen an den Schuhen gebunden werden. Das Ganze fand in der Regel bei Kerzenlicht statt und führte oft zu heftigen Reaktionen der gestressten Mutter. Besonders laut wurde die Szene, wenn Marlene unten an der Türe feststellte, dass sie ihr Bärchen auf dem Bett liegengelassen hatte. Mit fliegenden, offenen Mänteln und Jacken, schief sitzenden Ohrenmützen und flatternden Schals; mehr gezerrt als selbst gelaufen; stürzte man mit anderen Familien in Richtung Bunker.
Einmal tauchte auch Ballmanns Horst aus dem Dunkel der Nacht auf und schloss sich unserer Schar an. Auf unserem Heimweg aus dem Bunker bot Mutter Maria Horst an, öfter mit uns in den Bunker zu gehe, was Horst entschieden ablehnte:
erstens gefiele im das Kasperletheater nicht und
zweitens setze er sich nicht auf einen Pinkeleimer, in den vorher schon Mädchen gepinkelt hätten;
Er brunze hin, wohin er wolle und das nur im Stehen!
 
Auch meiner Schwester und mir gefiel die Sache mit dem Eimer nicht. Es war auch schwer zu verstehen, dass man; mitten in einem Krieg;  in einem dunklen, patschenassen Bunkerkeller, in dem das Wasser von oben herabtropfte und sich in großen Pfützen auf dem Boden breit-machte, solche beschämenden Regeln einhalten sollte. Wir pinkelten dann gelegentlich einfach in die Hosen, was dann auf dem Heimweg durch die kalte Winternacht für kurze Zeit eine wohlige Wärme verbreitete.Wieder zuhause angekommen legten sich die Kinder
wieder ins Bett, wo die dicke Wärmeflasche noch ein wenig zischte
und warteten auf das schauerliche Heulen der Sirene, die den nächsten Voralarm verkündete
Endlich verkündete unser Klassenlehrer. Herr Cygrang in der Jungenklasse, dass wegen der Tiefflieger der Schulunterricht vorübergehend ausfallen werde. Herr Lehrer Cygrang
war bei allen Schülern sehr verhasst, weil er ein zugewanderter Nazi
aus Luxemburg war, der es viel schlimmer trieb als unsere
einheimischen Nazi-Lehrer. Er wurde von den Schülern heimlich als luxemburger Vaterlandverräter bezeichnet, was er wusste oder
zumindest ahnte. Darum zeigte er seinen echten deutschen Parteigenossen immer wieder, dass er linientreu und den Führer treu ergeben war. Jeden Morgen mussten die Jungen lange strammstehen und ein Hitlerlied singen, welches immer mit einem lauten Hitlergruß endete. Wer den
Hitlergruß mit der falschen Hand ausführte, bekam
drei Schläge mit dem Rohrstock über die Finger. Wer bei den
Schlägen zuckte oder weinte oder seine Hand zurückzog, bekam einen sogenannten Nachschlag, der von unten gegen die Finger geführt
wurde und scheußlich wehe tat. Beim Herrn Klassenlehrer lernte ich,

Info
Gehen  Sie  mit dem Cursor über die schwarzen Punkte.
Mit den grünen
Pfeilen können
Sie vorwärts oder
rückwärts
blättern
oben rechts sehen
Sie die
rote Seitenzahl
 
 


Diese Info
können Sie mit den
grünen Buttons
aus- oder einschalten