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Der Nebel drang in wenigen Sekunden durch alle Ritzen und Spalten
und durch Fenster und Türen der Toilette und hüllte die Toilette, den Bahnhof und das Moselufer in einen undurchsichtigen Nebel. Willi und Horst hatten in der ersten Sekunde der Zündung die Flucht ergriffen und waren verschwunden; ich wurde vom Bahnhofsvorsteher Blesius erwischt.
Er schleifte mich aus der Nebelwolke vor das Toilettenhäuschen, rettete wahrscheinlich meine Gesundheit und verdrosch mich aber ganz jämmerlich und ausdauernd. Dann zerrte er mich bis zur Doctor-Weinstube, wo er mich dem Strafgericht von Mutter Maria übergab.
Die Ohrfeigen meiner Mutter fand ich angemessen, ein wenig geärgert habe ich mich, weil mir die Vernebelungsaktion ganz alleine angelastet wurde und ganz schlimm geärgert habe ich mich, weil Willi unter lautem Gelächter überall herumerzählte, er habe genau gewusst, dass es sich bei den „Ding“ um eine Nebelbombe gehandelt habe. Mama Maria zog die Zügel etwas an. Von diesem Tage bekam ich leichte Aufgaben im Haushalt. Kohlen aus dem Keller holen, Kleinholz hauen, Geschirr abtrocknen und Klopapier schneiden, lochen und mit einer Kordelschnur bündeln.
Letztere Aufgabe fand ich erträglich, weil man gleichgroße Klo-Blätter so schneiden konnte, dass lesbare Zeitungsauschnitte erhalten blieben oder Personen der Weltgeschichte nach dem Gebrauch der Blätter nur noch schwer zu erkennen waren. Tante Nana lernte meine Kompositionen auf einer „Sitzung“ in unserem Klo kennen und bestellte mehrere Bündel auch für ihr Klo. Was als lustige Idee begonnen hatte, wurde schnell zu einer lästigen Arbeit. Opas Büro-Locher diente zur Herstellung der Löcher und die so gewonnenen kleinen Stanzprodukte verteilte Marlene im ganzen Haus auf alle Teppiche. Diese Idee erlöste mich schlagartig von der langweiligen Herstellung des Klopapiers. |
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Ganz plötzlich tauchte auch Tante Hedwig , die jüngste Schwester meiner Mutter in Bernkastel wieder auf. Sie war vor den anrückenden Feinden aus Bad Kreuznach geflohen. Für diese Flucht gab es einige ernstzunehmende Begründungen: In Kreuznach führten die kinderlosen Hanks einen Lack und Farben-Großhandel, der den Hanks eine Menge Geld einbrachte, der aber für Tante „Hehe“, wie wir Kinder sie nannten, nicht fein genug war. Der ständige Umgang nur mit Handwerkern, die auch noch nach Lack und Farben, nach Spiritus und Reinigungsmittel stanken, gefiel ihr nicht. Auch ihr Mann, der Lack-und-Farben-Unteroffizier Peter Hank gefiel ihr nicht besonders.
Onkel Peter trank oft einen Schluck zu viel. Dann sang er gerne das Lied vom Soldaten im Argonnerwald oder er erzählte noch lieber die Geschichte von dem russischen Soldaten, den er mit einem einzigen Schuss erschossen hatte. Der Iwan hatte doch tatsächlich versucht,
ihm einen Grießpudding zu stehlen, den er zum Abkühlen vor den deutschen Bunker gestellt hatte. Solches Soldaten-Latein fand Hehe
nicht sehr vornehm. Sie wollte lieber als Chefin der Doctor-Weinstube kluge Gespräche mit geistreichen und, lieber noch, mit reichen und männlichen Gästen führen. Im Gegensatz zu allen Rheinländern, die zwischen „ch“ und „sch“ keinen hörbaren Unterschied machen,
betonte Tante Hehe sehr wohl diesen Unterschied. Sie sprach zum Beispiel gerne von „frichem Fich“, oder nannte uns „chmuddelige Cheusale“. Wir Kinder bewunderten unsere vornehme Tante; die Bernkasteler Bürger aber wollten eher mit so einer feinen Dame
nichts
zu tun haben.
Hehe wollte auch ihren teuren Leopardenmantel,
den ihr Mann, der Unteroffizier Peter Hank, aus Polen mitgebracht hatte, in
etwas geziemendem Umfeld zur Geltung bringen. Ein weiterer Grund |
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