 |
Das Jaulen und Jammern der Querschläger wurde immer schlimmer und plötzlich schrie Marlene auf und lag ganz still. Mama Maria sprang auf, packte Marlene am Arm und zerrte sie hinab auf den Weg.
„Sie lebt“, rief Mama „aber sie blutet am Kopf“
Herr Zimmer kroch vorsichtig zu den beiden hin, drückte Marlenchen
sein Taschentuch ins Gesicht und rief „es ist nur eine kleine Verletzung!“ Eine Kugel war neben dem Kopf von Marlenchen in eine Schieferplatte geschlagen und ein scharfer Splitter der Steinplatte war in die linke Wange des Kindes eingedrungen.
Obwohl mein Schwesterchen noch leise vor sich her weinte, krochen wir dann alle schnell hintereinander auf dem Bauch robbend um die Biegung des Weges, wo uns die Scharfschützen nicht mehr erreichen konnten.
Auf dem Bergfried angekommen tanzten alle um den Tisch in Opas Wohnzimmer. Auf dem Tisch saß Marlenchen und presste ein teures, sauberes, weißes Einsteck-Taschentuch von Opa auf die Wunde.
Das Taschentuch war mit einem goldenen Monogramm bestickt und mit gutem altem Tresterschnaps beträufelt worden, damit sich nichts entzünden sollte, nachdem Tante Hedwig mit einer kleinen Pinzette die kleinen schwarzen Schiefersplitter aus der Wunde gepiddelt hatte.
Die kleine Wunde heilte gut ab und verzierte Marlenes Lächeln bis ins hohe Alter.
Das Ende des Krieges war anscheinend doch noch nicht endgültig in unserer kleinen Welt angekommen; es war noch zu früh, sich ganz sicher zu fühlen.
Nach dem Schrecken mit den Scharfschützen kehrte wieder Ruhe ein im Haus und unsere Asylanten halfen Herrn und Frau Tenheil bei der Arbeit.Die Polen säuberten unter der Leitung von Jakub die Ställe, fütterten Pferde, Kühe und Schweine, sammelten die Eier ein |
|
und halfen beim Melken. Einer von ihnen schnitzte kleine Holzfiguren für uns Kinder.
Die Franzosen drehten den Schwengel der Milchzentrifuge, stampften Butter, kochten Viehfutter und das Essen für die Herrschaften, Personal, Vertriebene und Asylanten und schäkerten mit Hilde,
was Herrn Zimmer gar nicht sehr gefiel.
Am 17.März erschienen, wie vom Himmel gefallen, zwei Herren in guten Anzügen, aber ziemlich zerzaust an der Tür des Bergfrieds, klingelten höflich und wollten Herrn Popp sprechen. Sie waren sehr aufgeregt und voller Angst. Opa bat die Herren in sein Zimmer und war sehr erstaunt, in einem Herrn den Nazi-Bonzen „Schumanns Hein“ aus Bernkastel zu erkennen. Der andere Mann war wohl ein Freund
von Hein. Opa trat einen Schritt zurück, nahm eines seiner
Jagdgewehre in die Hand und fragte Hein bösartig, was ihm die Ehre verschaffe, einen so hohen Nazibonzen bei sich begrüßen zu dürfen.
Hein antwortete bescheiden und mit zitternder Stimme, er habe gehört, dass Opa einigen Leuten Asyl gewähre und er und sein Freund bäten ebenfalls um Asyl, weil die Bernkasteler ihn sonst vielleicht totschlügen; die erste Tracht Prügel hätten die beiden schon zu spüren bekommen.
Einen Augenblick lang konnte man im Gesicht unseres Opas so etwas wie gemeine Schadenfreude erkennen, aber dann siegte in Opas Kopf wieder der alte liberale Geist und er sagte, dass in seinem Haus niemand gelyncht wird und dass er jedem Hilfesuchenden, auch wenn
dieser ihm nicht willkommen sei, Asyl gewähre. Es gäbe aber ein Problem, denn er müsse die beiden zusammen mit den anderen Asylanten im gleichen Raum unterbringen und er sei sich nicht sicher,
|
Info |
Gehen Sie mit
dem Cursor über
die schwarzen Punkte. |
Mit den grünen
Pfeilen können
Sie vorwärts oder
rückwärts
blättern |
oben rechts sehen
Sie die
rote Seitenzahl
| |
| |


 |
Diese Info
können Sie mit den
grünen Buttons
aus- oder einschalten |
|
|